Jose 'Gollito' Estredo - Interview

Jose 'Gollito' Estredo - Interview

Der 9-fache Windsurf Freestyle Weltmeister startete auch im Wingfoilen durch und verpasste in 2022 den Surf-Freestyle Titel nur knapp. Seitdem widmet sich Gollito auch dem Slalom. Axel Reese hat den Venezolaner getroffen und das folgende Interview geführt

Wohl kaum ein anderer Name ist uns so geläufig, wie der des mittlerweile 36-jährigen Jose 'Gollito' Estredo. Das liegt vor allem daran, dass der Venezolaner die Freestyle-Disziplin im Windsurfen über ein Jahrzehnt lang beherrscht und dabei neun Weltmeistertitel eingefahren hat.

Vor vier Jahren dann der große Switch: auf die Teilnahme beim Windsurf Freestyle World Cup folgte der Einstieg in den Wingfoil World Cup - ebenfalls mit Fokus auf die Freestyle Disziplin. Dort verpasste er in 2022 beim Tourfinale in Brasilien den Titel nur knapp und wurde Surf-Freestyle Vize-Weltmeister.

Der Start von Gollitos Windsurfkarriere
Der Start von Gollitos Windsurfkarriere

Werfen wir einen Blick zurück und damit auch hinter die Kulissen. Gollito wächst im windigen Fischerdorf El Yaque auf der venezolanischen Insel Isla Margherita auf. Im Alter von 12 Jahren macht es bei ihm 'Klick', denn im Zuge des aufkommenden Windsurftourismus - eben in diesem Fischerdorf El Yaque - hat er nur noch Windsurfen im Kopf. Sein Vater war zu jenem Zeitpunkt längst weg gewesen und so teilt er sich gerade mal einen Raum mit seiner Oma, Mutter und den Geschwistern. Es ist insofern eine Kindheit, die für uns Europäer kaum nachzuvollziehen ist.

Wünsche nach einer Windsurfausrüstung waren rein illusorisch, denn finanzielle Mittel waren schlichtweg nicht vorhanden. Es gab nur das, was man dringend zum Leben brauchte, also gerade mal etwas zu Essen und einen Raum, in dem die Familie lebte. Und es gab eigentlich auch nur eine Zukunft, die des Fischers - also das, was alle Jungs des Dorfes erlernten.

Und wäre genau dieser Windsurftourismus Anfang der 90er Jahre nicht in dieses kleine Dorf gekommen, dann wäre Gollito eben auch einer jener Fischer, wie sein Vater und Großvater. Für die Kinder und Jugend des Dorfes hieß es nur 'ein bisschen' zur Schule zu gehen und dann an den Surfstationen entlang des immer windigen Dorfes abzuhängen und ein wenig helfen zu können.

Fischer oder Windsurfer - das waren die Optionen
Fischer oder Windsurfer - das waren die Optionen

Die Schule und doch lieber Windsurfen?
Gollito, damals gerade 12 Jahre alt, saß jeden Nachmittag auf dem Zaun der Planet Allsports Station und schaute den Windsurftouristen bei den Tricks und Sprüngen zu, um dann anschließend auf dem alten Windsurfboard und –segel der Surfstation genau das eben Gesehene nachzumachen. Immerhin - diese Möglichkeit gab es und der Einstieg in Windsurfen war möglich.

Mit der Zeit explodierte das Repertoire an Freestyle-Tricks der Jungs wie Gollito, Cheo Diaz, Ricardo Campello und anderen. Klar, denn auf der einen Seite sind die Spots in der südlichen Karibik ganzjährig vom Wind gesegnet und auf der anderen Seite wurde die Schule von den Jungs immer weniger ernst genommen, denn eine Schulpflicht gab es damals auf Isla Margherita noch nicht. Und so schwand auch bei Gollito recht schnell die Ernsthaftigkeit zur Schule zu gehen, denn weder als Fischer noch als Aushilfe bei den Surfstationen war so eine schulische Ausbildung dringend von Nöten.

Gollito kommt recht schnell in das erweiterte Windsurf Team von Fanatic und North Sails. Im Alter von gerade mal 14 Jahren nimmt er an seinem ersten Freestyle World Cup in Bonaire teil und erringt ein gutes Resultat, was ihm damit die Eintrittskarte in das World Cup Team gibt und den Weg ebnete, eine große Windsurf-Profikarriere machen zu können.

Gollitos Kindheit fand auf der Isla Margherita statt
Gollitos Kindheit fand auf der Isla Margherita statt

Das erste Mal im kalten Europa
Bei einer Testwoche des Surf-Magazins im Mai 2004 ist er das erste Mal in Deutschland. Auf Fehmarn bekommt er neben dem Windsurf-Eequipment von seinen Sponsoren einen Surfanzug, seine erste dicke Jacke und eine warme Mütze.

Der Aufbruch in eine neue Welt, der für die meisten gleichaltrigen Jugendlichen auf seiner Insel schier unmöglich gewesen ist. Für Gollito aber auch die Herausforderung viel lernen zu müssen, wie da eine neue Sprache gewesen ist, der Ablauf von World Cup Events, die Reisen mit Aufenthalten in Hotels und schlussendlich auch die Ernsthaftigkeit ein professionelles Arbeiten an den Tag zu legen.

Während eines Fotoshootings, das wir im Dezember 2004 in El Yaque über eine Woche gemacht haben, war dann zum morgendlichen Start entweder Gollito oder sein Kumpel Cheo Diaz nicht am Start. Normal für diese damals schon gut bezahlten Jungs und so unnormal für seriös arbeitende Europäer.

Recht schnell stellen sich immer mehr Erfolge ein, und so konnte Gollito im Alter von 17 Jahren seinen ersten Weltmeistertitel im Windsurf Freestyle erringen. Ein Schlüssel zum Erfolg war auch damals schon, in so vielen Situationen einfach nur zu Spielen und so ganz weit weg von einem bei ihm wohl gar nicht existenten Schmerzempfinden auch schwierigste Freestyle-Tricks zu lernen.

Gollito dominierte über länger als eine Dekade hinweg das Windsurf-Freestyle und wurde so zum weltweit erfolgreichsten Windsurf Freestyler aller Zeiten, der diese Disziplin wie kein anderer geprägt hat. Vor vier Jahren wechselt er dann die Sportart und nahm am Wingfoil World Cup teil.

Gollito - 2006 in El Yaque
2006 in El Yaque: Gollito wurde damals von Fanatic und North gesponsort

Fragen an Gollito Estredo

Deine Windsurfkarriere hat am Strand von El Yaque auf der Insel Margherita begonnen. 2001 war das und wir haben uns so kennengelernt, dass du viel auf dem Zaun der damaligen Surfstation gesessen und den Windsurfern zugeschaut hast.
Ja, ich hatte eigentlich jeden Nachmittag da so gesessen und die Windsurfer beobachtet, um die Moves eine Stunde später nachzumachen (lacht). Meistens habe ich diese Tricks nach ein paar Versuchen recht schnell gelernt.

Dabei war es deinen Eltern nicht möglich, dir eine Windsurfausrüstung zu kaufen. Du hast in den Stationen geholfen und durftest dann das Material benutzen.
Ja, es war eine harte und anstrengende Zeit. Unsere Familie musste sehen, dass sie irgendwie durchkommt und insofern Prioritäten setzen, die natürlich nicht 'Windsurfen' beinhaltete. Dabei war ich schon mit 11, 12 Jahren so 'full of windsurfing' und hatte mich neben der Schule für nichts anderes mehr interessiert. Und auch unser Dorf El Yaque boomte ja durch den Windsurftourismus, der sich recht plötzlich entwickelte, wodurch Hotels, Windsurfstationen und so weiter nur so aus dem Boden sprießten.

Windsurf Buddies seit den Anfängen: Gollito und Cheo Diaz
Windsurf Buddies seit den Anfängen: Gollito und Cheo Diaz

Ich durfte jeden Tag ein bisschen in der damaligen Planet Allsports Station mithelfen, also Boards und Segel für die Windsurfer fertig machen und nach den Sessions wieder mit Süßwasser abspritzen. Und so quasi als Gegenleistung durfte ich mir ein kleines Waveboard aus dem Regal ziehen und jede Menge Tricks lernen! Das war eine super Zeit.

Wie wurdest du in den darauffolgenden Jahren zum professionellen Windsurfer?
Ich kam in das Blickfeld der Marken Fanatic und North Sails und bekam die Gelegenheit, an Freestyle World Cups teilzunehmen. Ich konnte immer bessere Ergebnisse erzielen und so nahm es diesen Verlauf einer sehr erfolgreichen Karriere als professioneller Windsurfer.

Und wurdest dann zum 'Teilzeit'-Hamburger, d.h. bei der Familie Paskowski wurdest du ein Stück weit heimisch.
Ja, das stimmt! Ich freundete mich mit André Paskowski (der im August 2013 an Krebs verstarb) an und irgendwie war ich dann immer häufiger bei der Familie Paskowski in Hamburg zu Gast. Ich hatte dort sogar mein eigenes Zimmer! Ich bin heute noch dankbar für diese Möglichkeit, denn viele Windsurf Freestyle World Cups fanden dort statt, wo man von der Insel Isla Margherita ausgehend nur ungleich aufwändiger hingekommen wäre.

Gollito beim Duotone Photoshoot
Gollito beim Duotone Photoshoot

Für dich waren die Eltern von André sogar 'Mama Paskowski' und 'Papa Paskowski'!
Ja, sie haben sich so liebevoll um mich gekümmert und wurden mehr und mehr zu meinen Ersatzeltern, 'Mama und Papa Paskowski' also!

Du hast in den Jahren 2006 bis 2018 fast unglaubliche neun Weltmeistertitel im Freestyle einfahren können. Du hast das Freestyle fast nach Belieben dominiert, du warst der schier unanfechtbare Dominator, oder?
Ich habe versucht das Windsurf Freestyle auf einem sehr hohen Level zu machen und gleichzeitig zu pushen, also weiter voranzubringen. Ich habe also non-Stop trainiert, also an möglichst vielen Locations mit epischen Freestyle Bedingungen gepusht und versucht, die Limits immer weiter nach oben zu verschieben. Es war immer das Ziel auf dem Podium zu stehen und im besten Falle Weltmeister zu werden.

Gollito beim 2024er World Cup Tourstopp in Leucate
Gollito beim 2024er World Cup Tourstopp in Leucate

Was dir ja auch neun Mal gelungen ist! 'Die Limits weiter nach oben zu verschieben', welche Freestyle Moves hast du erfunden?
Das waren der Pasko, der Culo, der Spock Culo und natürlich der Burner, dem ich im Minimum einen WM-Titel zu verdanken habe. Dazu kommen noch Kombinationen dieser Moves.

Welche Freestyle Moves hast du vom Windsurfen hin zum Wingfoilen mitnehmen, also adaptieren können?
Ja, eine gute Frage, denn einer der Hauptgründe, warum ich mit dem Wingfoilen angefangen war, das ich so viele Bewegungsabläufe vom Windsurfen mitnehmen konnte. So zum Beispiel den Backloop, den Frontloop und den Pushloop. Das sind alles Jumps, die ich beim Wingfoilen sehr schnell lernen konnte, weil ich sie ja vorher, also beim Windsurfen, schon drauf hatte.

Was nur wenige Windsurfer wissen, du hast genauso auf einem World Cup Level im Strapless Freestyle gekitet! Am Kitesurf Strapless World Cup in Prea/Brasilien, hast du teilgenommen und wenn man da deine Bewegungsabläufe gesehen hat, dann hat man sich ausmalen können, was bei noch mehr Intensität hätte herauskommen können.
Und am Anfang war ich dafür noch so motiviert. Ich habe das neben dem Windsurfen über etwa drei, vier Jahre gemacht und dann aber an Motivation verloren und hatte daraufhin das Windsurfen in der Welle, das 'Wavesailing', gepusht.

FreeFly-Slalom Races in 2024 auf Fuerteventura
FreeFly-Slalom Racing in 2024 auf Fuerteventura - Gollito wurde dort siebter und holte später Platz 5 der GWA Tourwertung

Und um das Ganze zu betrachten. Ja, was denn nun, wofür schlägt dein Herz, fürs Windsurfen, Kitesurfen oder Wingfoilen?
Das ist nun ganz klar das Wingfoilen. Daneben aber liebe ich das Windsurf Freestyle immer noch so sehr!

Damit kommen wir zum hier und jetzt. Vom Windsurfmekka El Yaque auf der Karibikinsel Isla Margherita, über viele Tage in Hamburg, warst du zwischenzeitlich - mittlerweile als Familienvater - am Gardasee heimisch geworden. Hatte dich das Wingfoilen in diese Windsurfmetropole gebracht?
Ja, der Gardasee ist doch zum Wingfoilen und aber auch zum Windsurf-Freestyle und IQ-Foiling so fantastisch geeignet. Und dann natürlich meine Frau und unsere beiden Kinder, denn sie haben alle neben der Venezolanischen auch die Italienische Staatsbürgerschaft. Wir wollten mal ein paar Jahre an einem anderen Platz leben.


Sorry, ich hatte es ganz vergessen, Du warst in den vergangenen drei Jahren auch in der Olympischen Windsurfklasse, dem IQ-Foiling, sehr aktiv gewesen.
Das waren so gute Erfahrungen, die ich machen konnte! Ich habe an so vielen international besetzten IQ-Regatten teilgenommen, habe viel über das Racing gelernt, was mir nun beim Wingfoil Slalom sehr gut hilft.

In 2024 trat Gollito auch noch im Surf-Freestyle an
In 2024 trat Gollito auch noch im Surf-Freestyle an

Wie schon gesagt, in den letzten zwei Jahren hast du viel Zeit auf dem Wingfoilboard verbracht und nimmst an den Wingfoil World Cups in den Disziplinen Surf-Freestyle und FreeFly-Slalom teil. Und auch hier, bist du mit deinem Können auf einem absoluten World Cup Level.
Um beim Thema Wingfoil Slalom zu bleiben, ich habe in der Windsurf IQ-Foil Klasse viel gelernt, was ich nun beim Wingfoilen nutzen kann. Im Freestyle ist es mittlerweile eine ganz andere Sache, denn das Level steigt und steigt und ein Ende dieser Entwicklung ist noch gar nicht abzusehen. Die Teenager machen auf dem Wasser so verrückte Sachen!

Welche Ziele hast du schlussendlich im Wingfoilen?
Ich habe im Wingfoil FreeFly-Slalom die klare Zielsetzung aufs Podium zu fahren.

Sunset Session
Sunset Session auf den Bahamas - als Profi kommt man rum

Stichwort Teenager im Freestyle: Mit gerade mal 14 Jahren bist du 2003 in den Windsurf World Cup eingestiegen. Deine Mitstreiter im Wingfoil World Cup sind heute vielfach genauso Teenager. Wie fühlst du dich mit mittlerweile 36 Jahren im Vergleich zu diesen Jungs?
Ich sehe das, ich fühle das! Und ich versuche diese 'Kids' zu schlagen, was aber zunehmend schwieriger wird. Letztendlich verstehe ich das sehr gut, weil ich ja mal genauso jung gewesen bin und genauso verrückte Sachen gemacht habe. Angst vor schweren Stürzen und auch mal damit verbundenen Schmerzen gab es doch nicht! Du musst im Freestyle sehr jung sein, um ganz vorne zu landen. Du musst mit vielleicht 11, 12 Jahren starten und viel trainieren, um es dann in die Top 5 oder sogar aufs Podium zu schaffen. Und die jetzige Generation im Wingfoil Freestyle braucht für die Tricks gar nicht so viel Kraft.

D.h. es gibt mittlerweile auch ein Gap, also zu den Hardcore Tricks wie einem 1080, wo du sagst, hey, das sind Tricks, wo ich sehen muss, dass ich überhaupt noch mitkomme?
Lass es mich anders sagen, ich habe schon so verrückte Tricks gesehen, die ich sicherlich gar nicht mehr trainieren werde. Denn dafür musst du noch kleiner und noch leichter sein und auch eine Mentalität haben, die diese Tricks noch zulässt, so wie ich – du hast es gesagt - mit 14 Jahren in den Windsurf Freestyle World Cup eingestiegen bin. Aber heute? 'I cannot train this kind of crazy tricks now!'

Im 2025er FreeFly-Slalom Ranking liegt Gollito aktuell auf Rang neun
Im 2025er FreeFly-Slalom Ranking liegt Gollito aktuell in den Top 10 - der nächste Event findet auf Fuerteventura statt

Deinen Kumpel Ricardo Campello, Windsurfprofi aus El Yaque, dreifacher Freestyle Weltmeister und vierfacher Vize-Weltmeister im Wave, hat es aktuell zurück nach El Yaque verschlagen. Wohin wird dich deine Reise hin führen?
Ja, wir sind gerade wieder nach Venezuela gezogen. Wir leben hier in der Stadt Porlamar auf der Insel Margherita und damit unweit von El Yaque entfernt. Porlamar ist für uns als Familie sehr passend und für die Wochenenden haben wir ein Haus in El Yaque.

Welche Ziele hast Du auf eine langfristige Sicht?
Wir sehen unseren Lebensmittelpunkt hier auf Margherita. Und in El Yaque bin ich dabei, eine Surfstation aufzubauen. Ich bin vor langer Zeit von meiner Insel aus losgezogen, um wieder auf meiner Insel anzukommen!


Auch im Freestyle Windsurfen will Gollito nochmal angreifen, wir sind gespannt wie seine Wettkampfambitionen in 2025 verlaufen.

21.07.2025 © WING DAILY  |  Text: Axel Reese / reemedia  |  Fotos/Grafiken: Axel Reese / reemedia, Duotone / Toby Bromwich, GWA / Samuel Cardenas, GWA / Svetlana Romantsova